Exzentrisches Training & negative Wiederholungen

Derzeit sind der Sportwissenschaft drei Wege bekannt, um optimales Muskelwachstum zu erreichen. Neben progressiver Überlastung des Muskels, weithin als Hypertrophietraining bekannt, gibt es die metabolische Konditionierung und das exzentrische Krafttraining. 

Gerade letzteres sollte Bestandteil eines jeden semi-professionellen Trainingsplans sein, um das optimale Wachstum aus dem Muskel herauszuholen. 

In einer Studie, unter anderem von Brad Schoenfeld, hat das exzentrische Muskeltraining zu einem höheren Muskelwachstum geführt, wenn auch nicht statistisch signifikant. In der Studie konnte das konzentrische Training 6.8% Muskelwachstum nachweisen, die Probandengruppe im exzentrischen Training konnte 10.0% Muskelwachstum verzeichnen. 

Trotz einer leicht höheren Effektivität scheint das exzentrische Training energieeffizienter zu sein als herkömmliche Trainingsmethoden. In Studien konnte ein geringerer Verbrauch an ATP und Kalzium-Ionen nachgewiesen werden. 

Warum das so ist, schauen wir uns mal aus der Nähe an. 

Was ist exzentrisches Training?

Beim exzentrischen Training wird nur die negative Phase einer Wiederholung im Krafttraining ausgeführt. Der Muskel wird länger und bremst gegen den Widerstand (Gewicht). Zuweilen werden im exzentrischen Krafttraining auch vollständige Wiederholungen mit einer besonderen Betonung der exzentrischen Phase durchgeführt.

  • Konzentrische Phase: Muskel verkürzt, um den Widerstand zu bewegen.
  • Isometrische Phase: Muskel ist ohne Bewegung aktiviert, Widerstand wird gehalten
  • Exzentrische Phase: Muskel wird länger, bis der Ausgangszustand erreicht ist oder kurz vor Streckung des Muskels eine weitere Isometrische Phase mit anschließender Kontraktion stattfindet. 

Ist exzentrisches Training / negatives Training das gleiche?

Ja, beim exzentrischen Training wird die negative Phase einer Wiederholung isoliert ausgeführt oder zumindest besonders betont. Zum Beispiel, indem die konzentrische Phase schnell und ballistisch ausgeführt wird und die exzentrische Phase besonders langsam und kontrolliert. 

Ich werde im Folgenden die Begriffe exzentrisches Training und negatives Training synonym verwenden. 

Unterschied exzentrisches Training / erzwungene Wiederholungen

Mit Hilfe eines Partners können am Ende eines regulären Satzes (vollständige Wiederholungen) im Krafttraining weitere, erzwungene Wiederholungen ausgeführt werden. Hierbei unterstützt der Partner in der konzentrischen Phase, während der Trainierende die exzentrische Phase alleine bewältigt. 

Es handelt sich um eine Technik zur Intensivierung aus dem Bodybuilding, aber nicht um exzentrisches Training.

Warum ist exzentrisches Training so effektiv?

Fast alle Kraftübungen beginnen mit der konzentrischen Phase. Der Muskel verkürzt gegen den gewählten Widerstand, zum Beispiel eine Kurzhantel, indem sich die Myofilamente (Aktin, Myosin) innerhalb der Sarkomere ineinanderschieben. 

In der Mitte bilden diese dann einen Muskelbauch. So wird zum Beispiel beim Bizepscurl aus Muskeln, die ungefähr so lang sind wie der Oberarmknochen bei maximaler Kontraktion ein Muskelhügel. Hoffentlich. 

exzentrisch bizeps trainieren

Damit das funktioniert, muss eine ganze Reihe von Prozessen im Körper stattfinden. Das zentrale Nervensystem muss das Signal zur Muskelaktivierung geben, Kalzium-Ionen müssen ausgeschüttet werden, chemische Energie in Form von ATP muss bereitstehen.

Jeder, der bisweilen hart trainiert, war schon einmal an dem Punkt, an dem genau das nicht mehr funktioniert. Trotz Aufforderung will sich der Muskel nicht zu einer weiteren Wiederholung hinreißen lassen. Was schlicht unter Muskelversagen geführt wird, kann seine Ursache in der Erschöpfung eines jeden der vorgenannten Prozesse haben. 

Ist die Befehlskette unterbrochen, findet keine Bewegung statt. 

Im Krafttraining ist nun folgendes Phänomen zu beobachten: Selbst, wenn ein Gewicht nicht mehr konzentrisch bewegt werden kann, kann es immer noch isometrisch gehalten werden. Selbst, wenn es nicht mehr gehalten werden kann, kann es immer noch einigermaßen kontrolliert abgesenkt, das heißt exzentrisch bewegt werden. 

Nun ist es keineswegs so, dass das Gewicht, zum Beispiel beim Herabsenken in den vorgenannten Bizepscurls, leichter wäre. Den gleichen Gelenkwinkel vorausgesetzt, bildet das Gewicht exakt den gleichen Widerstand. 

Das bedeutet, dass man in der negativen Phase schlicht mehr Kraft hat, die Frage ist: warum?

Etwas vereinfacht gesprochen: im Muskel existieren passive Strukturen, die so heißen, weil sie nicht willentlich aktiviert werden können. Es ist ein Backup-System, dass den Muskel vor Deformation, und letztendlich Schädigung durch Überstreckung, schützt. Mit Hilfe dieser passiven Strukturen kann der Muskel höhere Energie entfalten. Deutlich höhere sogar!

Einzelne Muskelfasern können bis zu 50% mehr Energie produzieren, insgesamt sind wir in der exzentrischen Phase bis zu 30% stärker als in der Kontraktion des Muskels. 

Das bei der Aktivierung von Notfallsystemen des Körpers Vorsicht geboten ist, sollte klar sein. Interessanterweise sind aber die energetischen Anforderungen an den Körper gar nicht unbedingt höher. 

Im Fall des zentralen Nervensystems ist das einfach zu erklären, denn hier findet keine zusätzliche Aktivierung statt. 

Da aber auch innerhalb der Myofilamente keine weiteren Querbrücken gebildet, sondern diese lediglich kontrolliert gelöst werden müssen, ist auch der Verbrauch an Kalzium-Ionen und ATP in Bezug auf die entfaltete Kraft geringer. 

Kontrolliert loslassen ist für den Muskel im Verhältnis einfacher als sich anzuspannen. 

Negatives Training für Muskelaufbau

Höhere Gewichte bewegen, ohne anteilig einen höheren Preis im Energieaufwand zu bezahlen, ist natürlich genau das, was das Herz eines Bodybuilders höher schlagen lässt. 

Tatsächlich kann durch den Einsatz von supramaximalen Widerständen, Gewichten, die konzentrisch nicht bewegt werden können, ein höherer Trainingseffekt erwartet werden. 

Fokus und Vorbereitung sind aber auch hier Pflicht für ein effektives Training. Selbst, wenn der Energieaufwand für den Körper nicht höher ist, werden an das Training ganz andere Anforderungen gestellt als bei einem herkömmlichen Satz. 

Allein die Betonung der exzentrischen Phase, das langsame Absenken des Gewichts, ist ein Akt, auf den man sich einlassen muss. Das gilt vor allem für diejenigen, die Gewichte bisher eher ballistisch bewegt haben, um es mal wohlwollend zu umschreiben. 

Darüber hinaus sind gut ausgeführte Aufwärmsätze über die volle Bewegungslänge erforderlich, um den Muskel auf die kommende Belastung einzustellen. Der letzte Aufwärmsatz sollte zumindest mit 100% des üblichen Gewichtes für die angestrebte Wiederholungszahl ausgeführt werden. 

Trainer-Muskelaufbau

Als Belohnung winkt dann aber auch ein ganz eigener Effekt auf den trainierten Muskel. Während konzentrisches Training sich tendenziell eher auf den Durchmesser der Muskelfasern auswirkt, kann durch korrekt ausgeführtes exzentrisches Training tatsächlich die Länge der Muskelfasern beeinflusst werden

Es versteht sich also von selbst, dass exzentrisches Training für den Muskelaufbau eine sinnvolle Ergänzung und kein Ersatz für herkömmliche Trainingsformen ist. 

Exzentrisches Training: Übungen und Varianten

Wohl dem, der einen verlässlichen Trainingspartner an seiner Seite hat. Für alle anderen stellt sich nämlich die Frage, wie negatives Training überhaupt ausgeführt werden kann. Schließlich muss das Gewicht jeweils wieder in die Ausgangsposition zurück, falls man mehr als eine Wiederholung ausführen möchte. 

Zwar gibt es Übungen, die mit der exzentrischen Phase starten, wie zum Beispiel Kniebeugen, das Problem wird dadurch aber nicht geringer. Ausnahme ist vielleicht der Reverse Nordic Curl

Tatsächlich eignen sich schwere, mehrgelenkige Übungen eher schlecht für exzentrisches Training. Von der Betonung der exzentrischen Phase beim Kreuzheben würde ich dringend abraten. 

Eine Betonung der exzentrischen Phase beim Single Leg Deadlift wäre aber durchaus denkbar.


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Ebenso bei einbeinigen Kniebeugen in der freien oder geführten Variante. Hier kann, bei vorhandener Erfahrung und guter Aufwärmarbeit, supramaximales Gewicht eingesetzt werden. 

Was ist supramaximales Gewicht?

Wenn ein Gewicht nicht in der anvisierten Wiederholungszahl konzentrisch bewegt werden kann, spricht man von supramaximalem Gewicht. Für exzentrisches Training kann bis zu 130% vom Maximalgewicht bewegt werden. 

Beispiel:
Dein Maximalgewicht für 10 Wiederholungen beim Bankdrücken ist 100 kg. Für 10 Wiederholungen im exzentrischen Training kannst du, mit erfahrenen Spots an deiner Seite(!), bis zu 130 kg auflegen.

Für Übungen mit dem Körpergewicht ist dieses natürlich in die Berechnung des Trainingsgewichts für negative Wiederholungen mit einzubeziehen. Wenn du 90 kg wiegst und 10 einbeinige Kniebeuge mit 20 kg Zusatzgewicht ausführen kannst, dann sind 100% = 110 kg und das Limit für das supramaximale Gewicht liegt etwa bei 143 kg. 

Hab’ ich schon gesagt, dass man bei exzentrischem Training konzentriert, gut aufgewärmt und gegebenenfalls in erfahrener Begleitung sein sollte?

Exzentrisches Training Bizeps

Für kleinere Muskeln im Oberkörper ist der Trainingsaufbau hingegen vergleichsweise simpel. 

Beim einarmigen Bizeps- oder Trizepstraining kann die Hantel mit Hilfe der jeweils anderen Hand wieder in Position gebracht werden. Allerdings sollte man gerade beim Bizeps darauf achten, dass kein Hammercurl daraus wird: Bei supramaximalem Gewicht versucht der Körper gerne andere Muskel zuzuschalten, bevor er die Notlösung der passiven Strukturen in Anspruch nimmt. 

Es gilt also, Hand und Unterarm auch beim einarmigen exzentrischen Bizepstraining außenrotiert zu halten, so dass die Handfläche nach oben zeigt. 

Bei gleichbleibenden Widerstand wird das Gewicht bei einem Beugungswinkel unter 45° deutlich schwerer werden. Das liegt auch daran, dass der Bizeps in diesem Bereich relativ isoliert arbeiten muss. Gerade deswegen sollte man den unteren Teil der Bewegung nicht außer Acht lassen. 

Im Gegenteil, muss die Bewegung vom rechten Winkel bis zur (fast vollständigen) Streckung des Arms besonders betont werden. Das Gewicht ist so zu wählen, dass es im unteren Teil der Bewegung nicht einfach fallen gelassen wird. 

Übrigens eignen sich dafür nicht nur Hanteln, sondern auch Zugwiderstände von aus Fitnessbändern.


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Exzentrische Klimmzüge

Klimmzüge lassen sich in ähnlicher Weise exzentrisch betonen, indem der konzentrische Anteil beidarmig ausgeführt wird, bis der Körper die Stange erreicht. Im negativen Teil der Wiederholung kann dieser dann einarmig, vielleicht mit etwas Stabilisierungsarbeit der anderen Hand, stattfinden. 

Denkbar wäre auch, den konzentrischen Anteil wiederum ballistisch zu gestalten, etwa indem man an die Stange springt und den exzentrischen Anteil betont langsam auszuführen. 

Exzentrische Klimmzüge ist nur eine von vielen Übungen mit dem Körpergewicht, bei denen negative Wiederholungen relativ leicht zu implementieren sind, da man sich nicht mit großen externen Gewichten herumschlagen muss. 


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Exzentrisches Training Oberschenkel / Gluteus

Wie zuvor erwähnt, eignet sich der Nordic Reverse Curl sehr gut zum Training der Oberschenkelrückseite. Einsteiger sollten eventuell ein Fitnessband zur Hilfe nehmen, um die Last im unteren Teil der Bewegung ein wenig abzumildern. 

Ansonsten könnte es passieren, dass man schlicht nach vorne fällt und das ist sicherlich nicht Ziel der Übung. 

Wer eine entsprechende Maschine zur Verfügung hat, für den sind negative Leg Curls und Leg Extensions nach oben gezeigten Prinzip relativ leicht ins Training einzubauen. Eine Hackenschmidt-Maschine könnte ähnliches für Oberschenkel und Po bewirken. 

Die Variante einbeinige Kniebeuge mit exzentrischer Betonung ist besonders effektiv für den Gluteus (wie alle einbeinigen Übungen). Wer es schafft, die Spannung bis in den tiefen Kniewinkel zu halten, wird am nächsten Tag den Erfolg des Trainings spüren, versprochen. 


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In der gezeigten Variante ist die Übung auch koordinativ anspruchsvoll. Ich empfehle, entweder das freie Bein aufzulegen (Stuhl, Polster, etc.) oder zur Stabilisierung einen Schlingentrainer zu verwenden. An dem kann man sich festhalten und bei Bedarf auch wieder hochziehen, allerdings ist dann keine Hand frei für ein zusätzliches Gewicht. 

Exzentrisches Training Checkliste

Zielsetzung

Exzentrisches Training und negative Wiederholungen finden ihren Einsatz bei Sportarten, bei denen Haltearbeit geleistet werden muss (Turnen, Calisthenics), vor allem aber beim Krafttraining und Muskelaufbau. 

Im Muskelaufbau kann durch exzentrisches Training ein Längenwachstum des Muskels erreicht werden. 

Vorbereitung

Exzentrisches Training ist für erfahrene Sportler geeignet. Die Sätze erfordern ein hohes Maß an Konzentration und sollten nur im gut aufgewärmten Zustand absolviert werden. 

Droht die Gefahr, sich in eine Zwangslage zu bringen (z. B. beim Bankdrücken), muss ein erfahrener Spotter / Trainingspartner zur Verfügung stehen. 

Durchführung

Im exzentrischen Training kann bis zu 130% des üblichen Gewichtes für vollständige Wiederholungen bewegt werden. 

Bei negativem Training wird in der Regel auch nur der exzentrische Teil der Bewegung ausgeführt. Der positive Teil wird entweder vom Trainingspartner oder, bei einseitigen Übungen, vom freien Arm / freien Bein übernommen. 

Ist dies nicht möglich, wird der konzentrische Bewegungsanteil schnell und ballistisch erledigt (z. B. an die Stange springen bei Klimmzügen) oder die Last verringert. Der exzentrische Anteil wird betont langsam ausgeführt.

Denkbar wäre beispielsweise eine Kadenz 1 – 4, also eine Sekunde konzentrisch, vier Sekunden exzentrisch. 

Einseitige, eingelenkige Übungen, sowie Übungen mit dem eigenen Körpergewicht eignen sich sehr gut für negative Wiederholungen. Problematischer sind schwere, mehrgelenkige Bewegungen. Von negativen Wiederholungen beim Standard-Kreuzheben ist generell abzuraten.