Latissimus trainieren: Beide Anteile breiter machen

Jeder will den Latissimus trainieren, um die Wahrnehmung des eigenen Körpers zu ändern.

Nicht nur, weil der breite Rückenmuskel Sinnbild für einen athletischen Oberkörper ist. Auch eine vernachlässigte Mid-section sieht nach regelmäßigen Latissimus dorsi Training schon viel weniger schlimm aus, einfach, weil ein breiter Lat den Umfang des Bauchspecks relativiert. 

Für Kraftsportler ist ein starker Latissimus essentiell, um hohe Lasten zu bewegen. Für Bodybuilder ist der Muskel, neben den Oberschenkel, das lohnendste Ziel um den Anteil an Muskelmasse zu erhöhen. 

Aber wie geschieht das effektiv auch für fortgeschrittene Athleten, ohne immer mehr Latissimus-Übungen in den ohnehin schon überfüllten Trainingsplan einzubauen? Und wie können Einsteiger gleich mit einem Wissensvorsprung ins effizienteste Lat-Training starten?

Fragen wir die Wissenschaft.

Aufgaben des breiten Rückenmuskels

Hier wieder mein Mantra: Wer die Funktion(en) eines Muskels kennt, der kennt auch die besten Übungen. 

Funktionen des m. latissimus dorsi

  • Adduktion im Schultergelenk (1)
  • Extension im Schultergelenk (2)
  • Horizontale Extension im Schultergelenk (3)
  • Innenrotation im Schultergelenk (4)

Der breite Rückenmuskel führt den Oberarm also an den Körper heran, sowohl von der Seite (1) als auch von vorne (2). Er führt er den Oberarm auf Schulterhöhe vom Körper weg (3), etwa so, wie beim Reverse Butterfly. 

Lat trainieren

Außerdem führt er den Unterarm zum Körper (wenn man den rechten Arm in Neutralstellung seitlich hält und im Ellenbogengelenk 90° anwinkelt, anschließend die Hand auf das Herz legt, dann ist die Schulter innenrotiert (4). 

Für das optimale Training des Latissimus kann der Muskel funktional in zwei (manchmal auch drei) Anteile unterschieden werden.

Oberer Anteil – wird hauptsächlich durch die Schulterextension trainiert

Unterer Anteil – wird hauptsächlich durch die Schulteradduktion trainiert

Auch wenn es sich im eigentlichen Sinn nicht um unterschiedliche Muskelregionen handelt, macht diese Unterscheidung durchaus Sinn, wenn man den Latissimus trainieren will. Ein Blick auf den Muskel zeigt schnell, dass sich aus dem unterschiedlichen Verlauf der Fasern abweichende Hebelarme entwickeln.

Nur der untere Anteil des Lat ist noch aktiv, wenn der Arm über 120° gehoben ist. Der obere Anteil erreicht seine höchste Aktivität, wenn der Arm 30° bis 60° nach vorne angehoben ist. 

Der untere Anteil ist im wesentlich größeren Maß an der Adduktion (seitlich) der Arme beteiligt und die maximale Aktivierung des Muskels wird auch in einem etwas größeren Winkel bei etwa 75° erreicht. 

Latissimus isoliert trainieren

Aus dem beschriebenen Bewegungsprofil ist erkennbar, dass es kaum möglich ist, den Latissimus isoliert zu trainieren. Andere Muskeln sind in den verschiedenen Winkeln der Bewegung beteiligt, darunter:

  • Teres major
  • Teres minor
  • Deltoideus (alle Anteile)
  • Pectoralis 
  • Bizeps

Den Latissimus isoliert trainieren kann aber auch nicht das Ziel sein, denn zumindest m. teres major und m. teres minor tragen zu den gewünchsten Gesamtbild eines breiten Rückens bei. 

Lat und teres major

Wie wichtig Teres major (b) und Teres minor (c) für einen breiten Rücken sind, ist hier sehr schön zu erkennen.

Es wird auch deutlich, dass es mehr als eine Übung braucht, wenn man möglichst vollständig den Latissimus dorsi trainieren möchte. 

Rudermaschine

Die Rudermaschine könnte zur wichtigsten Lat-Übung werden. Zumindest, wenn wir annehmen, dass der obere Anteil des breiten Rückenmuskels für die meisten Trainierenden der wichtigste ist, da er am meisten zur V-Förmigen Ausbildung des Rückens beiträgt. 

Grundsätzlich rate ich dazu, Übungen möglichst immer über die vollständige Bewegungslänge auszuführen. Zumal der breite Rückenmuskel auch an der Retroversion, also der Bewegung der Arme hinter den Körper, beteiligt ist. 

Latissimus trainieren Rudern
Wenn man den oberen Anteil des Latissimus trainieren will, muss der Ellenbogen beim Rudern nicht unbedingt den 0° Winkel erreichen. Optimal ist der Weg von 60° bis 30° (Foto) mit hohem Widerstand.

Angesichts der Tatsache, dass der obere Anteil seine höchste Aktivierung erfährt, wenn der Arm 30° bis 60° vor dem Körper ist, könnte sich aber eine spezifizierte Abwandlung in mehr Muskelmasse auszahlen. 

Zumindest periodisiert könnte mit sehr schwerem Gewicht gearbeitet werden, welches gar nicht über die volle Länge (bis zur 0° Neutralstellung) bewegt werden kann. Vielleicht mit ein bisschen Hilfe beim Ausheben kann man so innerhalb der angegebenen Winkel vor dem Körper arbeiten. 

Cable Cross

Der Cable Cross ist bei den Meisten im Pec-Day gespeichert und das kann auch so bleiben, dennoch: für den unteren Anteil des Latissimus dorsi ist die Übung ebenso wertvoll. 

Auch hier müsste die Übung allerdings ein wenig abgewandelt werden. 

Der untere Anteil des Latissimus erreicht seine höchste Aktivierung, wenn der Arm 75° zur Seite abgespreizt ist (zur Operationalisierung: wenige Zentimeter tiefer als 90°). 

Beim Cable Cross wird der Latissimus nahe der obersten Position besonders gut trainiert.

Hier lassen sich mit angemessenem Gewicht Teilwiederholungen mit einer sehr kurzen Range of Motion durchführen. Wer Brust und Rücken an einem Tag trainiert, kann diese nach dem Full Range Cable Cross für den Pectoralis in den Trainingsplan integrieren. 

Latzug

Auch der Latzung lässt sich als isolierte Lat-Übung für die verschiedenen Anteile umbauen. 

Das Einleiten der Bewegung runter bis zu einem Winkel von 120° wird isoliert (ohne den oberen Anteil) vom unteren Anteil des Lat übernommen. Teilkontraktionen in diesem Bereich sind sinnvoll, wenn dieser Anteil vermehrt ausgebildet werden soll. 

Peak-Contractions in dem Winkel zwischen 30° und 60° können hingegen noch einmal mehr den oberen Anteil des Muskels betonen. 

Was sind Peak Contractions?

Bei den Gipfelkontraktionen werden sehr kurze Teilbewegungen in einem Bereich durchgeführt, in dem der Zielmuskel besonders aktiv ist.

Ein gängiges System ist, die Wiederholung wie gewohnt einzuleiten und am Punkt mit der höchsten Spannung vier kurze Peak Contractions auszuführen. So lassen sich wahrscheinlich weniger Wiederholungen ausführen, dafür sind diese wesentlich intensiver. 

Klimmzüge

Ich wage mal die kontroverse Behauptung, dass gerade der obere Anteil des breiten Rückenmuskels bei Klimmzügen nicht in dem Maß involviert ist, wie einige Trainierende sich das vorstellen. Zumindest nicht, in einigen Ausführungsvarianten.

Gerade bei einem sehr weiten oder sehr engen Griff können die oben angegebenen Winkel kaum erreicht werden. Entsprechend ist es sinnvoll, eine mittlere Griffweite anzuwenden, bei der die Arme seitlich am Körper vorbeigeführt werden können. 

Ein jeder prüfe sich selbst (im Idealfall mit Videoaufzeichnung) ob die genannten Winkel beim Lat-Training durch Klimmzüge wirklich erreicht werden. 

Wer noch ganz am Anfang steht und Probleme damit hat, den ersten Klimmzug hinzubekommen, der scheitert oft schon an den ersten Zentimetern in der Bewegung. Dies kann auf eine Schwäche des unteren Anteils des Latissimus dorsi hindeuten. 

In diesem Fall wäre es sinnvoll, am Latzug Teilkontraktionen in dem Bereich 180° bis 120° mit angemessenem Gewicht auszuführen. 

Unteren Anteil Latissimus trainieren
Wenn man den unteren Anteil des Latissimus trainieren will, muss das Kinn nicht unbedingt die Stange berühren.

Latissimus-Übungen zu Hause

Wer seinen Latissimus zuhause trainieren will, verfügt zumeist nicht über aufwändige Kabelzüge. Die gute Nachricht: für effektives Latissimus-Training sind diese auch nicht zwingend notwendig. 

Allerdings könnte sich langfristig und zur Steigerung der Motivation die Anschaffung einer Klimmzugstange lohnen, um eben auch die Zugwinkel über 120° abdecken zu können. 

Bis dahin sind diverse Ruderübungen für das Lat-Training die erste Wahl. 

Under bar Pull-ups

Under bar Pull-ups ideal, um den breiten Rückenmuskel zu kräftigen. Wer zu Hause über keine Stange in entsprechender Höhe verfügt (soll vorkommen), der kann sich entweder auf dem nächstgelegenen Calisthenics-Platz umsehen oder sich einen Schlingentrainer zulegen, mit dem sich der gleiche Effekt erreichen lässt. 


Mit dem Klick auf das Video wird eine Verbindung zu YouTube hergestellt (s. Datenschutzerklärung).

Widerstandsbänder / Powerbänder

Wer bereit ist, das Ego-Lifting für einen Moment beiseite zu lassen, für den sind Widerstandsbänder eine starke Ergänzung für das Lat-Training zu Hause. Mit den Bändern lässt sich in vielen Variationen effektiv der Latissimus trainieren, unter anderem:

  • Vorgebeugtes Rudern
  • Assisted Pull-ups
  • Überzüge
  • Cable Cross (wie oben beschrieben)
  • Reverse Flys (stehend)

Bei kontrollierter Ausführung kann das Training mit den Bändern intensiver sein als so manches Hanteltraining, vor allem dann, wenn man Intensivierungstechniken, wie die erwähnten Peak Contractions einbaut. 

Latissimus-Übung mit Kurzhantel & Langhantel

Auch mit Kurzhantel oder Langhantel kann man den Latissimus dorsi trainieren und muss dabei kaum Abstriche gegenüber dem Training im professionellen Fitnessstudio machen. 

Das vorgebeugte Rudern mit Kurzhantel oder Langhantel erfüllt fast alle Kriterien, die wir an eine funktionale Lat-Übung stellen können (wie gesagt, allein eine Klimmzugstange wäre als Ergänzung sinnvoll).

Gemäß den oben festgestellten Vorgaben sollte das vorgebeugte Rudern auch mit sehr schwerem Gewicht durchgeführt werden, das nicht über die volle Bewegungslänge geführt werden kann. 

Diese Trainingseinheiten lassen sich dann ergänzen oder abwechseln mit Einheiten, die leichteres Gewicht über die volle Bewegungslänge involvieren. Hier sollte dann die Hantel wirklich bis an den Körper geführt werden. 

Auch Cheating kann beim vorgebeugten Rudern Vorteile bringen. Das anerkannte Bodybuilding-Prinzip wird dafür eingesetzt, den Muskeln über den schwierigsten Teil der Bewegung hinwegzuhelfen, um weitere Wiederholungen ausführen zu können. 

Natürlich sollte das nicht dazu führen, dass sich unsere Übung in Bro-Rows verwandelt, bei denen die gesamte Energie aus dem Körper geholt wird. 


Mit dem Klick auf das Video wird eine Verbindung zu YouTube hergestellt (s. Datenschutzerklärung).

Grundsätzlich ist es sinnvoll, sich bei den Rows abzustützen, um den unteren Rücken zu entlasten. Wer einen stabilen Tisch oder ähnliches zu Hause hat, kann das dafür benutzen. Die Stabilität wäre aber im Vorfeld zu prüfen!

Ansonsten könnte man über die Anschaffung einer Hantelbank für zu Hause nachdenken, denn damit lässt sich das Home-Trainingsprogramm noch um andere Übungen erweitern. 

Lat-Training ohne Geräte

Latissimus trainieren ohne Geräte ist leider nur bedingt möglich – je nachdem, was man als Gerät bezeichnet. 

Wenn wir den Lat anständig trainieren wollen, müssen wir relativ hohe Lasten aus irgendeiner Position ziehen können. Wenn keine externen (Langhantel, Kurzhantel, Kettlebell) zur Verfügung stehen, bleiben nur die schon erwähnten Schlingentrainer, Powerbänder oder eben das eigene Körpergewicht. 

Für letzteres müsste dann eine entsprechende Gelegenheit, zum Beispiel für Under Bar Pull-ups geschaffen werden, sofern kein offener Calisthenics-Park oder ähnliches in der Nähe ist. 

Hier gibt es im eigenen Haushalt zuweilen Gelegenheiten (meine ersten Under Bar Pull-ups habe ich unter einem Wohnzimmertisch gemacht), die individuell zu prüfen wären. 

Das gesagt: Ich bin absolut kein Freund davon, mit Wasserflaschen oder ähnlichem ein effektives Latissimus dorsi Training zu simulieren. Wer ernsthaft an seinem Lat arbeiten will, muss nicht ins Fitnessstudio gehen, sollte sich aber zumindest eine der genannten Gerätschaften zulegen. 

Das ist die angestrebte V-Form wirklich wert!

FAQ

Danny T. Schneider