Makronährstoffe: Kalorien sind nicht alles

Damit wir verstehen können, welche Makronährstoffe in welchen Mengen problematisch sind oder sein können, müssen wir verstehen, wie die Verstoffwechselung der verschiedenen Energieträger funktioniert.

Die Aussage „eine Kalorie ist eine Kalorie“ ist auf fatale Weise irreführend.

Wenn wir lediglich die Energiedichte verschiedener Lebensmittel abschätzen müssten, wäre eine gesunde und angepasste Ernährung, zumindest auf dem Papier, eine einfache Sache. Die gerade aus den Reihen der Fitnessbranche neuerdings wieder häufiger zu hörende Empfehlung, man solle doch ganz einfach die Kalorienbilanz als Maßstab des täglichen Handelns ansetzen, ist so minimalistisch wie attraktiv wie falsch – zumindest für den Normalverbraucher.

Übrigens: dies ist ein Auszug aus dem Buch „Gesund abnehmen mit Fett“ – daher die formale Ansprache. Wer möchte, darf sich nach wie vor gedutzt fühlen.

Wer bereits seit einiger Zeit und mit einiger Ernsthaftigkeit einem Fitness- und Ernährungsplan folgt, dem wird es nicht sehr schwer fallen, hier und da Korrekturen im Sinne der kalorischen Gleichung vorzunehmen. Falls Sie noch nicht zu dieser Gruppe Erbsenzähler gehören, wird Ihnen der Tipp, doch einfach Kalorienzufuhr und -verbrauch im Gleichgewicht zu halten, nicht viel bringen.

Wer die Wirkungsweise von Nahrungsmittelfetten verstehen möchte, kommt nicht umhin, sich einige Momente mit der Zusammensetzung und Funktion sogenannter Makronährstoffe zu beschäftigen. Dies soll kein Seminar über Biochemie werden, dennoch wollen wir uns kurz ein paar einfache Grundlagen anschauen. 

Spare Ribs

Machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach den Fakten hinter den Fiktionen über „gute und böse Fette“ und „low carbs/no carbs“. Zur Belohnung winkt ein besseres Verständnis der Dinge, die sich kurzfristig und ohne Ernährungscoach im täglichen Leben ändern lassen, um tatsächlich gesünder durchs Leben zu gehen – und nicht zuletzt ein wenig Argumentationshilfe, falls Sie Ihren Partner auch überzeugen wollen.

Was sind Makronährstoffe?

Kurz gesagt dienen Makronährstoffe der Energiebereitstellung an verschiedenen Punkten in unserem Körper. Sie erfüllen darüber hinaus noch weitere Funktionen und sind in Ihrer Wirkung niemals isoliert zu betrachten, auch wenn sie hier der Kürze wegen als solche dargestellt werden.

Protein 4.1 kcal/Gramm

Kohlenhydrate 4.1 kcal/Gramm

Fett 9 kcal/Gramm

Die drei Formen von Makros sind mit unterschiedlichen Energiewerten behaftet, wobei Proteine und Kohlenhydrate gleiche Werte aufweisen, Fett jedoch mit mehr als der doppelten Energiedichte deutlich hervorsticht. 

Es sei an dieser Stelle schon vorausgeschickt, dass es zu kurz gegriffen wäre, eine etwaige Diät darauf aufzubauen, Fette zu ersetzen und dadurch Energiezufuhr einsparen zu wollen. Schließlich hat Nahrungsaufnahme auch mit Sättigung zu tun, aber wir wollen nicht vorgreifen.

Wir dürfen davon ausgehen, dass unsere Vorfahren sich sehr fettreich und sehr proteinreich ernährt haben und zwar nicht nur, bis der Ackerbau kultiviert wurde. Noch im 7. Und 8. Jahrhundert wurde in unseren Breitengraden die Ausdehnung von Waldflächen nicht in Quadratkilometern angegeben, sondern in der Menge an Schweinen, die auf der Fläche gehalten werden konnten. 

Dies weist darauf hin, dass Restriktionen im Fleischverzehr, wenn vorhanden, allein ökonomischen Gesichtspunkten geschuldet waren.

Als in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Verbraucherpreise für Fleisch fielen und die Löhne aufgrund der Pest und der damit verbundenen „positiven“ Situation am Arbeitsmarkt stiegen, konnten sich auch untere Einkommensschichten regelmäßigen Fleischverzehr leisten und machten reichlich Gebrauch davon. Man spricht bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vom „fleischessenden Europa“.

Nun mag der eine oder andere die Bilder von feisten Aristokraten und fettleibigen Predigern mit Nierensteinen a la Martin Luther vor sich haben, Fakt ist aber, dass das Massenphänomen der dem hohen Fettkonsum zugeschriebenen Volkskrankheiten schlicht nicht existent war. 

Letztendlich zeichnete sich dieses Bild noch weit bis ins 20. Jahrhundert in Ländern wie Deutschland und Frankreich ab: eine hohe Zufuhr an gesättigten Fettsäuren, ohne nennenswertes Auftreten an koronaren Herzerkrankungen oder ähnlichen Volksleiden

Sollte sich vielleicht die Verarbeitung von Cholesterin und gesättigten Fettsäuren in unseren Körpern in den letzten hundert Jahren geändert haben oder haben andere Faktoren zum weltweiten und schwindelerregenden Anstieg der Erkrankungen beigetragen? Spoiler: Ersteres ist auszuschließen.

Diese unterschiedlichen Fette gibt es

Vorabreflexion: Gibt es gute und schlechte Fette und wenn ja, welche sind das genau? Warum sind sie gut oder schlecht? 

Die meisten von uns werden schon einmal davon gehört haben, dass es kurz-, mittel- und langkettige Fettsäuren gibt, doch was bedeutet das? Einfach gesagt: an einer Säuregruppe, die wir für diesen Zweck nicht weiter auseinandernehmen müssen, hängen unterschiedlich lange Ketten von Kohlenstoffatomen. 

Während kurzkettige Fettsäuren in der Natur so gut wie nicht vorkommen, sind mittelkettige Fettsäuren in den letzten Jahren in Form von Kokosfett ins Gespräch gekommen. Sie sind besonders gut verdaulich uns hitzeresistent, was dem Kokosfett hervorragende Eigenschaften beim Braten verleiht. Die allermeisten Nahrungsmittelfette, die wir zu uns nehmen, sind aber langkettig.

Gesättigte Fettsäuren

 Sind die „Arme“ der Kohlenstoffatome in langkettigen Fettsäuren vollständig mit Wasserstoffatomen belegt, sprechen wir von gesättigten Fettsäuren. Gesättigte Fettsäuren sind nicht essentiell, das heißt, der Körper hat die Möglichkeit, sie selbst herzustellen – was uns schon einen gewissen Einblick darin geben sollte, dass gesättigte Fette nicht grundsätzlich schädlich für den Körper sein können. 

Sie dienen der Energiebereitstellung im Körper und werden, soweit möglich und nötig, im Fettgewebe eingelagert. Die Fähigkeit des Körpers, dieses Depotfette selbst zu bilden, sollten Sie im Sinn behalten, denn dies geschieht auch in der Leber und wird uns ziemlich nahe an die Wurzel des Übels führen.

Übrigens: die Tatsache, dass Fettsäuren gesättigt sind, macht sie sehr stabil, deswegen sind sie in der Regel bei Zimmertemperatur fest.

Ungesättigte Fettsäuren

Ungesättigte Fettsäuren weisen mindestens eine Doppelbindung zwischen den Kohlenstoffatomen auf und zwar dort, wo die Wasserstoffatome fehlen. Stark vereinfacht beschrieben sind die „Arme“ der Kohlenstoffe dort frei und greifen nun ineinander (deswegen Doppelbindung). Diese Arme können sich aber sehr schnell mit anderen Stoffen verbinden.

Die hohe Reaktionsfähigkeit der ungesättigten Fettsäuren sorgt übrigens auch dafür, dass sie schnell verderblich sind – sie reagieren eben auch sehr schnell mit Sauerstoff. Beim frischen Fisch mit viel mehrfach ungesättigten Fettsäuren merkt man das besonders schnell.

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren

 Existieren mehrere dieser Doppelbindungen, sprechen wir von mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Tritt die erste Doppelbindung am dritten Kohlenstoffatom vom Ende der Kette aus gesehen auf, liegt folgerichtig eine Omega-3 Fettsäure vor (Omega = Ende). Zählen wir vom Ende der Kette sechs Atome bis zur ersten Doppelbindung, ist es eine Omega-6 Fettsäure.

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren können im Körper zahlreiche Funktionen erfüllen, darunter die Bildung von Immunstoffen und der (Neu-)Bau von Zellmembranen. Allerdings kann ihre hohe Reaktionsfreude im Körper auch schädliche Prozesse verursachen. 

Ungesättigte Fettsäuren können vom Körper nicht selbst gebildet werden und müssen mit der Nahrung zugeführt werden. Natürliche Lebensmittel weisen Kombinationen aus verschiedenen Fettsäuren auf, eine hohe Zufuhr an mehrfach ungesättigten Fettsäuren ist aber zum Beispiel durch Öle (eben bei Raumtemperatur flüssig) und verschiedene Fischsorten zu erreichen, aber auch durch Hühnereier, Fleisch- und Käsesorten.

Nicht alle MUFS sind gleich!

 Jetzt gibt es leider noch eine schlechte Nachricht für alle, die immer tapfer darauf geachtet haben, ausreichend mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren versorgt zu sein: Omega-3 und Omega-6 Fettsäuren erfüllen nicht nur unterschiedliche, sondern teils gänzlich konträre Funktionen im Körper. Während Omega-3 entzündungshemmend wirkt, ist die Omega-6 Fettsäure entzündungsfördernd.

ungesättigte Fettsäuren

Letzteres ist nicht grundsätzlich als problematisch anzusehen, denn Entzündungen sind Teil des Abwehrmechanismus des Körpers, entzündungsfördernde Substanzen können in diesem Sinn also durchaus als positiv verstanden werden. Problematisch wird die Sache erst bei der Verarbeitung der Fettsäuren durch körpereigene Enzyme.

Wiederum stark vereinfacht gesagt: Stellen Sie sich das Enzymsystem als eine Art Trichter vor, einen Prozess, den alle Fettsäuren durchlaufen müssen, um im menschlichen Körper aktiv zu werden. Gibt es ein Überangebot an Omega-6, was in der für uns typischen Ernährung meistens der Fall ist, dann gelangen nicht genug Omega-3 Fettsäuren durch den Trichter um die für den Körper verwertbaren Eicosanoide zu bilden. 

Erst hier entsteht ein echtes Problem, denn durch das Missverhältnis zwischen Omega-3 und Omega-6 kann der Körper eine ungesunde Entzündungsneigung entwickeln, ohne dass diese Prozesse von den entzündungshemmenden Fettsäuren durchbrochen werden.

Achten Sie auf das Verhältnis mehrfach ungesättigter Fettsäuren

Anstatt in ein schwarz-weiß Denken zu verfallen, sollten wir uns vor Augen halten, dass die verschiedenen Stoffe in den natürlichen Nahrungsmitteln einen Zweck erfüllen, jeder auf seine Weise. Hier der Werbung zu vertrauen und einfach möglichst viele ungesättigte Fettsäuren in den Körper zu bringen, weil diese ja ach so gesund sind, ist wirklich kein guter Ansatz für ein gesundes Leben. Der Werbung zu vertrauen ist generell kein Ansatz für ein gesundes Leben.

Besser: stellen Sie Ihre Ernährung auf zwei gesunde Füße und versuchen Sie im Alltag das Verhältnis von Omega-3 zu Omega-6 ein wenig zu optimieren. Dafür müssen Sie nicht gleich anfangen, dieses Verhältnis minutiös auszurechnen. Es genügt, bewusst für eine höhere Omega-3 Zufuhr zu sorgen und dafür einige andere Lebensmittel zu meiden.

Leider ist das Omega-6 auch in meist nicht deklarierter Menge in verarbeiteten Lebensmitteln, zum Beispiel Backwaren, vorhanden, wodurch weiter zum Missverhältnis beigetragen wird. 

Ich möchte hier also den ersten Grund liefern, die Finger von den vorgebackenen Croissants zu lassen, weitere werden folgen. Darüber hinaus ist ein verbessertes Verhältnis an ungesättigten Fettsäuren in drei einfachen Schritten zu erreichen:

1. Verwenden Sie unraffinierte Öle zum Braten, zum Beispiel Leinöl oder Rapsöl.

2. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, Walnüsse oder Nussmischungen für zwischendurch dabei zu haben.

3. Schaffen Sie ein bis zwei zusätzliche Gelegenheiten in der Woche, fettreichen Seefisch zu verzehren.

Besonders der Seefisch könnte in der einen oder anderen Form der beste Freund des Menschen werden, denn hier sind die oben erwähnten Eicosanoide schon im Fisch selbst entstanden – das Omega-3 muss also nicht um einen Platz im Enzymsystem des Menschen konkurrieren, sondern kann direkt vom Körper verwertet werden.

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Wichtig: lassen Sie die Finger von Fischölkapseln und dergleichen. Erstens verderben diese aufgrund der beschriebenen Reaktionsfähigkeit sehr schnell und der wahre Gehalt an Omega-3 ist nicht mehr realistisch zu ermitteln. Zweitens können mehrfach ungesättigte Fettsäuren auch schnell überdosiert werden und aufgrund der erwähnten hohen Reaktionsfreude Schaden im Körper anrichten.

Der tägliche Bedarf an Omega-3 kann schon durch 40g Hering oder 20g Walnüsse gedeckt werden, wenn das Verhältnis zu Omega-6 stimmt! Sparen Sie sich also das Geld für ein weiteres Industrieprodukt, auch wenn es aus der Apotheke kommt und investieren Sie das Geld in Nüsse und Lachs.

Da eben nicht nur die Gesamtmenge, sondern vor allem das Verhältnis ausschlaggebend ist, sollten Sie zeitgleich einfach Maßnahmen ergreifen, die Omega-6 Zufuhr zu senken. Am einfachsten erreichen Sie dies, indem Sie den Anteil verarbeiteter Nahrungsmittel in Ihrer Ernährung senken. 

Darüber hinaus sollten Sie auf Rapsöl für das regelmäßige Braten umsteigen und kalte Gerichte mit Leinöl anrichten. Mit diesen einfachen Maßnahmen können Sie auch ohne ausgefeilte Ernährungspläne und ohne ständig im neuesten Ratgeber-Blog auf dem Laufenden zu bleiben hundert Jahre alt werden.

 Entweder Fett oder Kohlenhydrate – oder beides?

 Vorabreflexion: Wofür benötigt der Körper Ballaststoffe? Wie viele Gläser Orangensaft oder Apfelsaft würden Sie selbst idealerweise pro Tag trinken und warum?

Eine gute informierte Entscheidung über die richtige Menge an Fetten in der täglichen Nahrung muss sich zwangsläufig auch mit dem Thema Kohlenhydrate beschäftigen. Wie wir bereits gelernt haben, gibt es drei Arten von Makronährstoffen, wobei die Proteine vom Körper wirklich nur dann als Brennstoff herangezogen werden, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. 

Außerhalb von Notsituationen scheidet diese Option also als primäre Energiequelle aus, es bleiben die Fette und die Kohlenhydrate. Für die allermeisten von uns bedeutet dies eine Mischverbrennung aus beiden Stoffen, eine Mischung, die wir aber selbst beeinflussen können.

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Es ist wichtig, diese banale Wahrheit verinnerlicht zu haben: wer sich für mehr Nahrungsmittelfette entscheidet, entscheidet sich, bei ausgeglichener Energiebilanz, auch immer bis zu einem gewissen Maß gegen Kohlenhydrate und andersherum.

Eingangs des Kapitels haben wir bereits gesehen, dass Fett eine größere Energiedichte aufweist als Kohlenhydrate, die Überlegung lieber mehr von letzteren zu essen scheint also vor allem für diejenigen interessant zu sein, die gerne weniger Kalorien zu sich nehmen möchten. 

Auf der anderen Seite hat es in den USA und auch bei uns in Deutschland spätestens seit den 1980er Jahren eine institutionell gesteuerte Kampagne gegen Nahrungsmittelfette gegeben, mit dem Ergebnis, dass Menschen anteilig mehr Kohlenhydrate gegessen haben und die Anzahl an übergewichtigen Menschen gestiegen ist. Wie kann das sein? Um zu verstehen, dass eine Kalorie nicht eine Kalorie ist, müssen Sie verstehen, wie Kohlenhydrate im Körper verarbeitet werden.

Die guten Kohlenhydrate

Für lebende Organismen machen Kohlenhydrate einen wichtigen Bestandteil der aufgenommenen Nahrung aus. Kohlenhydrate sind, der Name verrät es bereits, ein Produkt aus Kohlenstoffdioxid, Wasser und Licht. 

Dass das Ergebnis der sogenannten Photosynthese dann als Traubenzucker bezeichnet wird, mag eher weniger intuitiv sein, beruht aber auf der Tatsache, dass eben jener Stoff Ende des 18. Jahrhunderts zunächst in Weintrauben entdeckt wurde, in denen er auch reichlich vorhanden ist. 

An dieser Stelle möchten wir uns aber auch gleich wieder von dem Begriff Traubenzucker verabschieden und ebenso von dem inzwischen etwas angestaubten Begriff Dextrose. Beide Bezeichnungen sind wesensgleich mit dem Begriff Glukose, welchen wir fortan verwenden wollen.

Die Glukose in Pflanzen ist für den Menschen nur recht schwer verdaulich. Falls spitzfindige Veganer Sie einmal darauf hinweisen, dass sogar die kräftigsten Gorillas sich ausschließlich von Grünzeug ernähren, weisen Sie diese bitte darauf hin, dass deren Verstoffwechselung der aufgenommenen Pflanzen grundlegend anders funktioniert als beim Menschen.

Und vergessen Sie bitte nicht das, sollte eine Gorilla-Diät zunächst attraktiv erscheinen, eine weitere Speisekammer sinnvoll wäre. Für den Wochenbedarf eines ausgewachsenen Gorillamanns wären gut 200 Kilogramm Grünzeug nötig.

Für den Menschen wesentlich leichter zu verstoffwechseln sind Samen, Hülsenfrüchte und Knollen, wie man auch in Deutschland kurz nach der Einführung der Kartoffel feststellte. 

Kartoffeln Stärke

Nachdem Friedrich der Große 1756 den „Kartoffelbefehl“ erließ und, nicht unwichtig, darauf hinwies, dass der im Boden wohnende Teil der Pflanze zu verzehren sei, konnten auch die bis dato zurecht skeptischen Bauern hierzulande überzeugt werden.

Das geflügelte Wort „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“ zeugt von dem Unglauben der damaligen Bevölkerung, dass der eben sehr schwer im Magen liegende und leicht giftige Teil dieser neuen Pflanze eine Knolle haben könnte, die nicht nur genießbar, sondern gekocht und weitgehend von Alkaloiden befreit sogar richtig schmackhaft ist. 

Alkaloide sind im Übrigen der Grund, warum man Augen und Keime von der Kartoffel entfernen sollte, bevor man sie verzehrt.

Heutzutage würde man sich vielleicht wieder wünschen, dass der Bauer, der jetzt gemeiner Bürger und Konsument ist, sich von Dingen, die er nicht kennt, fernhält. Allerdings hat die Industrie es geschafft, dass vormals ungenießbare Unbekannte in einen zuckersüßen Alptraum zu verwandeln.

Glukose hält den Motor am Laufen?

Kohlenhydrate aus Nahrungsmitteln werden vom Körper also in Glukose, physiologisch verwertbaren Zucker aufgespalten. Dabei ist es wichtig, die Glukose begrifflich und gedanklich vom sogenannten Haushaltszucker zu trennen: Haushaltszucker enthält zu gleichen Teilen Glukose und Fructose und zwar ausschließlich. Dies sind zwei sehr wichtige Problematiken, mit denen wir uns in der Folge beschäftigen wollen.

Von den naturbelassenen und als Nahrungsmittel anerkannten Stoffen gibt es wenig, was dem menschlichen Organismus wirklich gefährlich werden kann und so ist auch der Zucker zu Unrecht in Verruf geraten. 

Letztendlich haben wir es hier mit einem ähnlichen Problem wie beim Cholesterin zu tun, ganz verschiedene Stoffe werden mit dem gleichen Begriff belegt und führen so zu Verwirrungen beim Endverbraucher. 

Die oben erwähnte Aufspaltung der zugeführten Kohlenhydrate in verwertbare Glukose ist für den Körper in der Regel kein Problem, denn die gleichzeitig enthaltenen Ballaststoffe, die sowohl im Korn, als auch in der Knolle und der Hülsenfrucht zu finden sind, sorgen für eine gleichmäßige Ausschüttung des Zuckers in den Blutkreislauf.

Hier kann die neu gewonnene Energie dann auf verschiedene Arten genutzt werden. Durch die Aufspaltung des Stoffes, welche bereits im Mundraum durch die Amylase beginnt und sich im Darm fortsetzt, ist die Glukose umgehend als Energie im Muskel verfügbar. 

Sollte hier kein zeitnaher Bedarf bestehen, wird die Glukose selbständig wieder in Ketten gebunden und als Glykogen zur schnellen Verfügbarkeit in der Leber gespeichert.

Unabdingbar für diesen Prozess ist das Insulin, dessen zentrale Bedeutung für die Ernährung und vor allem auch für die Fehlernährung, wir uns in der Folge noch genauer anschauen wollen. 

Bis hierhin halten wir fest: Insulin ist nicht der „bad boy“ in der Geschichte, ebenso wenig wie das Cholesterin, sondern es erfüllt eine lebenswichtige Funktion in der Kette der Energiebereitstellung im menschlichen Körper, ohne die es den Menschen schlichtweg nicht geben würde.

Was ist also das Problem mit dem Zucker? 

Stellen wir uns kurz vor, wir würden ein durchlässiges, aber engmaschiges Gewebe über einen Eimer legen und einen halben Liter Wasser darauf gießen. So das Gewebe einigermaßen nachgiebig ist, würde sich ein kleiner See auf dem Tuch bilden, dann würde nach und nach Wasser in Tropfen durchsickern und über einen unbestimmten Zeitraum annähernd die vollen 500 Milliliter in den Eimer abgeben. 

Es bedarf nicht viel Fantasie, sich den gleichen Prozess ohne das Gewebe vorzustellen: die 500 Milliliter würden vollständig und praktisch ohne Verzögerung im Eimer landen. Sie glauben gar nicht, wie nah dieses Bild an der Glukoseverwertung im Körper ist.

Glukose kommt nicht einfach so daher, sondern muss mühsam vom Körper aus der Nahrung extrahiert werden. Anschließend sorgen die in der Nahrung vorhandenen wasserlöslichen und nicht-wasserlöslichen Ballaststoffe dafür, dass die Glukose, eben wie durch ein festes Tuch, verzögert in das Blut abgegeben wird

Entfernt man diese Ballaststoffe, hat der Körper mit einer völlig neuen Problemlage zu kämpfen, fantastische Mengen Insulin sind dann notwendig, um mit der Flut an Energie fertig zu werden. Und doch ist es genau das, was wir mit Industriezucker und industriell hergestellter Stärke erreichen.

Bar jeder pflanzlichen Barriere wird die Energie in Reinform verarbeitet und zugeführt. 

Zu erkennen sind diese entleerten Stoffe rein optisch an ihrer weißen Farbe, Weißmehl, weißer Reis, Zucker etc. Leider bedeutet das nicht, dass braune Lebensmittel grundsätzlich weniger schädlich sind, gerade bei Brotsorten versuchen Hersteller durch den Zusatz weiterer Stoffe Weißmehlprodukte optisch in naturbelassene Lebensmittel zu verwandeln. 

Weißmehl

Wenn Sie nicht zum Bäcker Ihres Vertrauens gehen, sondern im Supermarkt einkaufen, sollte Vollkorn, nicht Mehrkorn, an erster Stelle in der Auflistung der Inhaltsstoffe stehen, sonst haben sie es ernährungstechnisch gesehen nicht mit einem Vollkornprodukt zu tun.

Über Weißmehlprodukte hinaus ist die Abwesenheit von Ballaststoffen natürlich in erster Linie ein Problem bei Industriezucker. Dieser besteht aus Glukose und Fructose. 

Während die Glukose mit einer Menge Insulin bewältigt und notfalls in die Leber verschoben werden kann, lässt sich die Fructose ausschließlich in der Leber verarbeiten. Beides zusammen würde meiner Meinung nach die Einstufung von Industriezucker als Toxin rechtfertigen, denn in der Kombination haben sich die beiden Stoffe in den vergangenen Jahren als absolut tödliches Duo erwiesen. Aber Moment mal, ist Fructose nicht der „gute Zucker“, der in Früchten enthalten ist? 

Nicht ganz, leider.

Fructose – Brennstoff aus der Natur?

Fructose kommt in der Natur seltener vor als Glukose und schmeckt wesentlich süßer. Das ist auch der Grund, warum ordinärer Haushaltszucker zu gleichen Teilen aus Glukose und Fructose besteht, aber natürlich ist letztere auch und vor allem in Obstsorten und zum Beispiel im Honig zu finden. 

Für die Analyse der Frage, ob Kohlenhydrate nicht nur kein Ersatz für Fette, sondern die Ursache vieler Probleme in der modernen Konsumgesellschaft sein könnten, ist es wichtig, Vorkommen und Verstoffwechselung der Fructose gut zu kennen. Denn im Gegensatz zur Glukose, die direkt als Energie im Muskel genutzt werden oder als Glykogen gespeichert werden kann, kennt die Fructose nur einen Weg: ab in die Leber.

Je weiter man sich in die Verstoffwechselung von Nahrungsmitteln vorarbeitet, desto mehr gerät man ins Staunen: alle Prozesse scheinen perfekt aufeinander abgestimmt. 

Die Tatsache, dass Fructose in der Leber kurz und schmerzlos in Depotfett verwandelt werden kann, wird unseren Vorfahren ein ums andere Mal das Leben gerettet haben, denn Obst ist in unseren Breitengraden gerade im Herbst in rauen Mengen verfügbar und hat dafür gesorgt, dass die Fettdepots vor dem nahenden Winter zusätzlich aufgefüllt werden konnten.

Dabei hat die Natur gleichzeitig dafür gesorgt, dass die Säugetiere nicht übermütig werden – um an 10 Gramm Fructose zu kommen, musste man schon einen mächtigen Apfel verzehren. Gleichzeitig hat die „Verpackung“ der Fructose mit einem ausreichenden Ballaststoffanteil dafür gesorgt, dass die Fructose in angemessener Geschwindigkeit in der Leber ankommt. Ganz gleich, ob man eine intelligente Schöpfung oder die Mechanismen der Evolution zugrunde legt, es ist ein geniales System.

Fruchtzucker

Die Ballaststoffe sind deswegen so wichtig, weil die Leber nur ein gewisses Maß an Fruchtzucker auf einmal sinnvoll verarbeiten kann. Dies ist wiederum von der Bedarfslage abhängig und jeder normale Schreibtischtäter kann sich ausrechnen, wie diese über den Tag verteilt wohl aussieht. 

Zugeführte Energie, die nicht verarbeitet werden kann, stellt für den Körper mindestens ein ebenso großes Problem dar, wie Energiemangel. Zum Glück verfügt die Leber über die erstaunliche Fähigkeit zur Lipogenese, der Fruchtzucker kann unter der Bildung ganz eigener Lipoproteine in Depotfett umgewandelt werden. 

Würde man die Leber allerdings mit einer aus natürlichen Nahrungsmitteln nicht zu generierenden Menge an Fruchtzucker bombardieren, dann müsste diese verfetten.

Wer mitten im Leben steht, kennt die Leberzirrhose als Endstadium eines langanhaltenden Alkoholmissbrauchs, zumindest dem Namen nach. Weniger bekannt ist, dass ein andauernder Überkonsum von Fruchtzucker zum gleichen Ergebnis führen kann, natürlich auch und vor allem dann, wenn regelmäßiger Alkoholkonsum mit viel Fructose einhergeht. 

Ein Problem dieser Art der Erkrankung ist, dass die Leber sich nicht primär durch Organschmerzen bemerkbar macht, man kann also Probleme in der Ernährung weitgehend ignorieren und weglachen, bis der Arzt das irreversible Endstadium diagnostiziert. Auch ohne, dass es soweit kommt, stellt die Fettleber für uns ernährungstechnisch ein großes Problem dar, dem wir uns gleich widmen wollen, aber schauen wir erst einmal kurz, wie es dazu kommen kann.

Was meinen Sie, wie viele große Äpfel könnten Sie hintereinander essen? 

Ich hätte üblicherweise nach einem genug, höchstens nach intensivem Sport könnte ich zwei am Stück verzehren. Hingegen wäre es für die meisten Menschen weniger problematisch, 200 ml Apfelsaft zu trinken, womit man grob auf denselben Anteil Fruchtzucker herauskommt, nur ohne die bremsenden Ballaststoffe.

Orangensaft Fruchtzucker

Da spielt es übrigens auch keine Rolle, ob der Apfelsaft naturtrüb ist oder der Orangensaft noch Fruchtfleisch enthält. Die maschinell geschredderte Struktur des Obstes macht die Ballaststoffe für den eigentlich vorgesehenen Zweck weitgehend unbrauchbar. Betrachten wir den Zucker isoliert, kommen Fruchtsäfte auf eine leicht schlechtere Nahrungsmittelbilanz als ein herkömmlicher Softdrink.

Können wir bei naturähnlichen Lebensmitteln noch ungefähr abschätzen, welcher Anteil an Fruchtzucker uns erwartet, wird dies bei verarbeiteten Lebensmitteln deutlich schwieriger. Aufgrund der hohen Süße setzt die Industrie Fructose liebend gerne in den unmöglichsten Speisen ein; selbst 100 Gramm Cornichons enthalten insgesamt sechs Gramm Zucker, Hamburgersauce hat locker das doppelte zu bieten und eine durchschnittliche Nussecke bietet pro Stück über 40 Gramm Zucker an, davon ein nicht geringer Anteil industrieller Fructose. Schauen Sie sich im Kühlschrank und im Supermarkt um und fragen Sie sich, was schiefgelaufen ist.

Noch vor 150 Jahren lag die durchschnittliche Aufnahme von Fructose bei 5 Gramm täglich, heute sind wir bei 50 Gramm – jeden einzelnen Tag. Die Regenerationskräfte des menschlichen Organismus nötigen jedem aufmerksamen Beobachter Respekt ab, aber wahr ist auch, dass jedes System durch Dauerbeschuss zum Kollabieren gebracht werden kann. Wir tun nun wirklich unser Bestes, dieses Ziel zu erreichen.

Das oben erwähnte ernährungstechnische Problem ist nun folgendes: auch wenn Fructose selbst keine nennenswerte Insulinausschüttung generiert, führt die fortschreitende Verfettung der Leber zunehmend zu einer Insulinresistenz. Die Insulinresistenz zieht wiederum eine geringere Aufnahme an Glukose in der Leber nach sich, denn auch diese kann in der Leber verarbeitet werden, und in der Folge ergibt sich ein höherer Blutzuckerspiegel. Ein chronisch erhöhter Blutzuckerspiegel öffnet wiederum das Tor zu einer Ernährungshölle, über die viele Menschen längst die Kontrolle verloren haben.